Die Kapstadt-Coupe-Horrorstory
Irgendwann hatte ich schon mal angedeutet, dass ich eben mal so nach Kapstadt runterfliegen sollte, um bei einem Coupe die Zündung einzustellen (sind ja nur 1600km von Pretoria!). Biber hat sofort eingehakt und mir aufgedrückt, dass ich diese Geschichte doch etwas genauer erzählen soll.
Wollt ihr sie wirklich hören? Oh Gott, empfindlichen Lesern empfehle ich, sich auf einem Stuhl niederzulassen, an dem man sich gut festhalten kann, und einen Schnaps bereitzuhalten. Ihr werdet ihn brauchen.
Also das geht so:
Ich kriege ein e-mail von einem, wie sich rausstellt wirklich sehr netten und enthusiastischen Herrn in Kapstadt, der hat eine Firma für große Beleuchtungsanlagen und einen Hubschrauberservice, aber von Technik nicht viel Ahnung, wie er freiwillig zugibt. Er hat sich ein 300er Coupe gekauft und dieses von einem seiner Kunden restaurieren lassen. Der Restaurateur hat hat es aber nicht geschafft, den Zündzeitpunkt richtig einzustellen. Es gibt Fehlzündungen, ja, und der Vergaser tropft auch. Das war die ursprüngliche Fehlerbeschreibung.
Walter (nicht sein richtiger Name) hat in Kapstadt niemand gefunden, der ihm die Zündung einstellen kann(!). Da hat er sich an Uwe gewandt um Rat, und der hat ihn an mich verwiesen.
Nach ein paar e-mails hin und her kommt man überein, dass ich nach Kapstadt fliegen soll, Flug, Unterkunft, Unkosten und Arbeitszeit, alles bezahlt. Ich habe dann angeboten, dass ich bei der Gelegenheit nicht nur die Zündung sondern das ganze Auto mal durchsehe, was Walter gerne angenommen hat.
Was ich in Kapstadt vorgefunden habe war ein in Bezug auf Blech- und Lackarbeit sowie Innen-ausstattung wunderschön hergerichtetes Coupe. Aber praktisch alles, was Technik anbelangt war zwar neu lackiert, aber in höchst unglaublicher Weise kaputt und vermurkst, und viele Einzelheiten waren als glattweg gefährlich einzustufen. Ich musste das Auto nach einer kurzen Probefahrt aus Sicherheits-gründen SOFORT aus dem Verkehr ziehen. Ein deutscher TÜV hätte das Fahrzeug nicht mehr vom Hof fahren lassen, nichtmal bis zur nächsten Werkstatt schleppen, nur noch aufladen.
Hier ist die Fehlerliste (in der Reihenfolge wie vorgefunden):
1 Zündzeitpunkt und Unterbrecherabstand nicht ganz richtig, aber nicht zu schlimm. Aber ein Kabel zum Unterbrecher hin war vom Lüfterrad durchgeschliffen. Das war der Grund für die Fehlzündungen.
2 Trägerplatte für die Unterbrecher nur mit zwei Schrauben befestigt
3 Kabel zu den Unterbrechern vertauscht: Linker Unterbrecher bedient die Zündspule für den rechten Zylinder und umgekehrt.
4 Kein Kabelschuh an einem der Zündkabel, Kabel fällt dauernd von der Spule ab.
Bis hierher geht’s ja noch, aber jetzt wird’s ernst:
5 Gewindeeinsätze aus Messing in die Zylinderköpfe eingesetzt, mit Hilfe deren man die kleinen (normalen) Zündkerzen verwenden kann. Einer davon war locker und undicht. Nicht das größte Problem, aber dann waren die LANGEN Zündkerzen reingedreht, und das ohne Dichtring (!). Folge: Die Kolben haben zwar nicht hart aufgeschlagen, aber genug, um den Elektrodenabstand auf ca. 0,1mm zu reduzieren.
6 Ein einfaches Baumarkt-Wasserkugelventil wurde verwendet als Benzinhahn. Keine Ahnung, ob die darin verbauten Materialien auf Dauer benzinfest sind. Unten am Tank-Auslauf war zunächst ein 90-grd-Winkel installiert, nach links hin ausgerichtet. Da dran war dann der Wasserhahn geschraubt und dann die Benzinleitung zum Vergaser hin. Das alles passt natürlich nicht zusammen mit der Kühlluftführung. Man hat daraufhin einach ein grosses Loch in die Haube geschnitten um Platz zu schaffen für den “Benzin”-Hahn. Folge: Der Hahn und die Leitung waren voll der (heissen) Kühlluft ausgesetzt (kann bis zu 200grd heiss sein!). Keine Betätigung vom Innenraum aus möglich!
7 Die waagrecht liegenden Bleche zwischen Motorinnenraum und Unterseite waren handgemacht und falsch geschnitten. An manchen Stellen lagen sie an der Lüfterhaube an, anderswo war der Spalt viel zu groß. Keine einzige Gummiabdeckung rundum.
8 Vergaser läuft über wegen undichtem Schwimmernadelventil.
9 Keinerlei Luftfilter vorhanden.
10 Der Auspuff bestand aus einem 50x50mm Vierkantrohr, ca 50cm lang, Enden zugeschweisst,quer direkt and die Zylinder angeschraubt, in der Mitte nach hinten raus ein Rohr 20mm durchmesser, ca 50mm lang. Das war alles. Extrem laut, Feuergefahr, gefährlich für Insassen wegen Abgas im Innenraum, insbesondere in Verbindung mit den fehlenden Gummidichtungen um die Kühllufthaube. Bestimt auch nicht gut fur Spritverbrauch und Leistung.
11 Selbsgebaute Motoraufhängung hinten mit senkrecht stehenden, viel zu weichen Gummielementen. Gefährlich, weil der Motor und seine Aufhängung Teil der Radaufhängung sind.
12 Jede Menge Schrauben und Muttern, auch solche, die zum Fahrwerk gehören, nicht vernünftig
festgezogen. Schrauben an der Hinterachse und am Querträger von niedriger Baumarktqualität, nicht die hochfesten 8.8 oder 10.9-Schrauben wie vorgeschrieben.
13 Komplett falsches, nicht einstellbares Kupplungsseil verwendet. Folge: Tellerfeder überbogen, Kupplung rutscht.
14 Das Kupplungsgehäuse (eigentlich ein Präzisionsteil) war schwer misshandelt. Jemand hat dran gehämmert, geschweisst und gefeilt. War an das Zahnrad dahinter angeschraubt, nicht genietet. Ist möglicherweise deshalb schon mal abgefallen und dabei beschädigt worden. Entsprechende tiefe Kratzer und Schleifspuren sind innen am Kupplungsdeckel sichtbar.
15 Ölaustritt am Differential, Dichtringe schlecht, und die dünnen O-Ringe innen nicht drin.
16 Beide Zentralmuttern an den Gabelstücken stark beschädigt. Jemand hat versucht, sie mit Hammer und Meissel zu lösen bzw. festzuziehen.
17 Das rechte Kreuzgelenk hat etwa 5mm Radialspiel, das linke etwas weniger. Man konnte die Nadeln schon von aussen sehen.
18 Die rechte Bremstrommel schleift stark an der Ankerplatte. Das kann nur vorkommen, wenn irgendwas im Radlagergehäuse nicht richtig montiert ist (siehe weiter unten).
19 Hinten rechts waren nur drei Radschrauben drin.
20 Die Zentralmutern an beiden Bremstrommeln hinten waren lose! Nicht festgezogen, nicht gesichert. Man konnte sie von Hand abnehmen.
21 Keine Unterlegscheiben zwischen Muttern und Bremstrommeln.
22 Als Folge von 20 und 21 fielen die Bremstrommeln praktisch von selber ab sobald die Muttern entfernt waren.
23 Alle 8 Bremseinstellexzenter total lose. Weder eingestellt noch festgezogen.
24 Radlager vorne: Zentralmutter nichtmal soweit angezogen, dass die Radlager ganz “drin” waren. Keine Sicherungsbleche.
25 Beide Bremsschläuche vorne falscher Typ, keine Messing-Anschlussteile verbaut. Bremsschläuche gehen waagrecht vom Bremszylinder weg. Folge:
26 Bremsschlauch rechts schleift am Reifen bei der kleinsten Lenkbewegung nach links.
27 Bremsschlauch links steht an der Feder an bei der kleinsten Lenkbewegung nach rechts.
28 Lenkgetriebe: Extremes Spiel der Zahnstange im Gehäuse
29 Elektrik: Schalter für Lichthupe und Blinker fehlt.
30 Kein “rotes Licht” für Zündung und Ladekontrolle vorhanden
31: Motor: Der Ansaugkrümmer war schon mal abgesägt, wurde aber wieder drangeschweisst
32 Kein Bowdenzug für Heizung da, keine Rückholfeder an der Heizungsklappe in der Kühllufthaube.
Heizungsklappe immer offen, zweigt Kühlluft ab und bläst sie ins Freie, da auch keine Schläuche da sind zwischen Kühllufthaube und Wärmetauscher sowie zwischen Wärmetauscher und Heizrohr im Tunnel.
Da es absolut unmöglich war, alle diese Fehler in der zur Verfügung stehenden Zeit (2 Tage) zu korrigieren, kam man überein, den Motor samt der Hinterachse zu mir nach Pretoria zu schicken für eine Generalüberholung. Beim Zerlegen der gesamten Einheit bis zur letzten Schraube kam dann noch folgendes zu Tage:
33 Siehe Nr. 16, Zentralmutter am rechten Kreuzgelenk total kaputt, nicht gesichert ud absolut lose. Man konte sie von Hand abnehmen (!!)
34 Gabelstück gebrochen und wieder zusammengeschweisst
35 Zentralmutter am linken Gabelstück auch beschädigt. Die Mutter war mit dem Sicherungsblech verschweisst, aber beides zusammen konnte man von Hand abnehmen, kein Werkzeug erforderlich
36 Falsches Kreuzgelenk verwendet, 55mm statt 60 “über’s Kreuz”. Daher kamen die 5mm Spiel, die schon unter Nr.17 erwähnt wurden.
37 Kreuzgelenk wie Nr. 36, aber weniger Spiel, weil in einer der Tassen einige Nadeln umgefallen waren. Auf der gegenüber liegenden Seite waren ein (gebrochener) Seegerring und eine alte 10-Cents-Münze installiert als Spielausgleich.
38 Durch falsche Positionierung der selbsterfundenen Motoraufhängung wird der Motor um 5mm zu weit nach vorne gedrückt. Dadurch gehen die Hinterräder auf “Nachspur”.
39 Lenkgetriebegehäuse stark beschädigt (siehe Nr. 28) dadurch dass man in der Gegend der Spurstangenköpfe wiederholt mit einem großen Hammer quer auf die Zahnstange gedroschen hat.
40 Jede Menge falsche oder gar fehlende Schrauben überall am Auto.
41 Drähte innerhalb der Lichtmaschine mit dem Blechring eingequetscht.
42 Der äussere Kupplungsausrückhebel hat extremes Spiel am unteren Ende. Kann seitlich so weit wegklappen, dass er oben am Anschlag vorbeigezogen werden kann. Folge: Überbiegen der Tellerfeder.
43 Öldichtring am Kupplungsausrückstift beschädigt. Stark undicht.
44 Da waren gut 3 Esslöffel Flußsand im Getriebe drin!!! Das muss schon seit langer Zeit so gewesen sein, denn glücklicherweise schwamm der Sand nicht frei rum, sondern war in dickem Ölschlamm gebunden. Es ist unmöglich, eine solche Menge Sand beim Zusammenbau des Getriebes zu übersehen. Also muss ihn jemand später absichtlich eingefüllt haben. Ich kann das nur als Sabotage deuten.
45 Ein großes Stück der obersten Kühlrippe am linken Zylinder abgebrochen.
46 In beide Zylinder waren Laufbüchsen eingesetzt. Die Durchbrüche für alle Gaskanäle waren vorher schon eingefräst, aber dann wurden die Büchsen um zwischen 5 und 10 Grad verdreht eingepresst. Das behindert den Gasdurchfluss vor und nach der Verbrennung erheblich.
47 Alle 4 Kolben der hinteren Radbremszylinder waren selbstgemacht, sehr grob, viel zuviel Spiel, falsche Mantschetten drin, die Federn innen drin viel zu kurz, Rostnarben in den Zylinderlaufbahnen. In die Zylinder waren Büchsen eingesetzt, die mit Weichlot(!) eingelötet waren.
48 Im Radlagergehäuse hinten rechts war der eine Seegerring, der die Halbachse in ihrer Position halten soll, garnicht drin (später habe ich ihn lose im Lagergehäuse liegend gefunden). Dadurch konnte sich die Halbachse seitlich hin- und herbewegen, wodurch auch die Bremstrommel an der Bremsankerplatte schleifen konnte (siehe oben, Nr. 18).
49 Sämtliche Schrauben an den Bremsankerplatten hinten waren nicht fest angezogen – Ankerplatte am Radlagergehäuse, Bremszylinder an der Ankerplatte, der Gegenhalt für die Seilzüge, die Exzenter,
und sogar der untere Gegenhalt für die Bremsbacken, alles locker.
50 Der Tachometer hat nicht funktioniert.
51 Die meisten Schalter und Bowdenzüge im Armaturenbrett waren vertauscht oder verkehrt eingebaut
52 Wilder Kabelsalat hinter dem Armaturenbrett...... und vieles mehr.
Also, da fällt einem nichts mehr ein dazu. Ich habe in meinem Leben schon viel Murks gesehen, das könnt Ihr mir glauben, aber nie soviel gleichzeitig an einem Auto, und noch nie so viele gefährliche Einzelheiten. Es hat mich 45 (allerdings gut bezahlte) Arbeitsstunden gekostet, um nur den Motor und die Hinterachse wieder in Ordnung zu bringen.
Fazit: Wer sein Auto nicht selber fachmännisch reparieren kann und sich somit der Hilfe Dritter bedienen muss, der muss sich ganz genau ansehen, wem er da sein Auto anvertraut. Am besten Referenzen einholen. Und dann noch jemanden engagieren, der dem “Macher” auf die Finger schauen kann. Das Problem ist nämlich, dass jemand, der selbst nicht genug Erfahrung hat, höchstwahrscheinlich auch nicht überprüfen kann, ob sein Helfer gute Arbeit oder Murks macht.
(Völlig erschöpft):
Arno SA
PS: “Walter” hat mir grade geschrieben, ob ich nicht nochmal nach Kapstadt fliegen kann, um den Rest des Autos in Ordnung zu bringen……….